Rundschau vom 18.02.2000, Nummer 41
von Bernd Kehren
Berescheid
In den frühen Morgenstunden des 25. Mai 1944 bemerkte der Berescheider Walter Esch Flugzeuggeräusche und das Feuer
von Bordkanonen. Ein großes Flugzeug beschreibt am Himmel eine Kurve. Die Maschine überfliegt brennend den kleinen Ort
von Osten her und stürzt direkt dahinter auf einer Wiese ab.
Die Beobachtungen von Walter Esch halfen der Arbeits- gemeinschaft Luftkriegsgeschichte wieder einmal, ein Fliegerschicksal
aus dem Zweiten Weltkrieg aufzuklären. „Wir machen das aus humanitären Aspekten“, erklärt Axel Paul, der seit 1975 in der
Arbeitsgemeinschaft dabei ist. Noch viele Schicksale sind ungeklärt. Die Arbeitsgemeinschaft versucht hier zu helfen und die
Angehörigen über den Verbleib ihrer bis heute als vermisst gemeldeten Verwandten zu informieren. Rund 120 Fälle im Jahr werden
von der AG bearbeitet. Viele Fälle konnte sie im Laufe der Jahre aufklären.
Bombenoffensive im Frühjahr 1944
Im Frühjahr 1944 läuft die alliierte Bombenoffensive gegen kriegswichtige Ziel im Deutschen Reich auf Hochtouren.
Fast jede Nacht fliegen englische Viermotverbände mit ihrer tödlichen Last deutsche Städte an. Am Tage sind es die oft
unübersehbaren Geschwader der US Air Force, die die Bombardierung in gleicher Weise fortsetzen. In der Nacht des 24. auf
den 25. Mai 1944 ist die Stadt Aachen als Angriffsziel vorgesehen.
In England heben die beteiligten britischen Einheiten von ihren verstreut liegenden Basen ab, um sich zu einem mehr oder
weniger zusammenhängenden Verband zu vereinigen.
Um 23.50 Uhr startet auch die Lancaster mit der Seriennummer LM 120 und der Rumpfkennung UL-T 2 vom Roll- feld des
Heimatflugplatzes Elsham Wolds. Die Maschine gehört zur 576. Squadron des Royal Air Force Bomber Command. Die „2“
hinter dem Individualbuchstaben „T“ besagt, dass es in derselben Squadron noch ein zweites Flugzeug mit der Bezeichnung UL-T gibt.
Piot-Officer Lanford steuert den viermotorigen Bomber in Richtung Aachen. Weder er noch der Rest der insgesamt siebenköpfigen
Besatzung werden von diesem Flug zurückkehren.
Als der Berescheider Walter Esch am frühen Morgen die Bordkanonen hört, kann er beobachten, dass das große Flugzeug am dunklen
Himmel offenbar aus dem Verband ausscheren will. Die Maschine ist bereits beschädigt und will wohl den Heimflug antreten. Das
Flugzeug brennt und Walter Esch sieht, wie es in dem terrassierten Wiesenhang bei Berescheid herunterkommt.
Unmittelbar darauf folgt eine gewaltige Explosion. Später finden herbeieilende Anwohner bei Helligkeit die verstreuten
Trümmer des großen Flugzeuges. Die Besatzung wurde beim Aufprall getötet. Die Leichen sind bis zur Unkenntlichkeit
verbrannt. Hier kommt jede Hilfe zu spät.
Scharfe Bomben zwischen den Trümmern
Zwischen den Trümmern entdeckt man eine Anzahl nicht explodierter Bomben, die vorrangig geborgen und entschärft werden müssen.
Im Dorf wird in einem Hausgarten unter einem Birnbaum ein toter Flieger gefunden, der, vermutlich ohne Fallschirm, aus dem
abstürzenden Flugzeug herausgeschleudert worden ist.
Vor dem Ort liegt ein mächtiges Rad des Hauptfahrwerks. Gut im Gedächtnis geblieben sind dem Augenzeugen Walter Esch noch
eine Rettungsaxt und eine Art „Notkoffer“.
All diese schaurigen Erinnerungen konnte Walter Esch auch noch nach weit über 50 Jahren im Gespräch an die Mitglieder
der Arbeitsgemeinschaft Luftkriegsgeschichte weitergegeben Er kann den Absturz präzise benennen. Dort hat zwar längst ein
Flurbereinigung verfahren die Örtlichkeiten verändert. Dennoch wurden Axel Paul und die anderen Mitglieder der AG am Samstag
bald mit ihren Detektoren fündig, nur wenige Zentimeter unter der Grasnarbe. Die aufgelesenen Alumimumfetzen lassen hinsichtlich
der erhaltenen Farbspuren keinen Zweifel: Es handelte sich um einen britischen Bomber vom Typ Lancaster. Insofern kann diese
Absturzstelle mit dem Hinweis in den britischen Verlustangaben des damaligen Aachen- einsatzes gleichgesetzt werden.
Die sterblichen Überreste der Besatzung sollen zu nächst in Dreiborn beerdigt worden sein. Später wurde ein „Sergeant G. Shutt
sowie zwei Bordschützen“ in Rheinberg auf dem britischen Ehrenfriedhof beigesetzt. An die Namen der anderen Flieger
erinnert ein Eintrag auf einer Tafel des Gedenkmonuments in Runnymede in England. Sie gelten heute noch offiziell als vermisst.
„Der Angriff auf Aachen kostete die Royal Air Force eine ganze Anzahl ihrer schweren Bomber“, erzählt Axel Paul.
„Eine weitere Maschine der 576. Squadron ging im Wald bei Mulartshütte verloren. Diese wurde, wie auch die Lancaster von
Berescheid, das Opfer eines deutschen Nachtjägers.“
Aluminiumfetzen fand Axel Paul nur wenige Zentimeter unter der Grasnarbe. Farbspuren und Dicke des Bleches ließen ihn sofort
erkennen, dass es sich um ein britisches Flugzeug handelt